Dein Kind wird große Schwester oder großer Bruder – was für eine aufregende Phase im Leben deiner Familie. Da sind so viele Gefühle, so viele Bedürfnisse – und gleichzeitig ganz viel Unsicherheit und Vorfreude.
Die Krux: Deine eigenen Gefühle können stark von denen deines Kindes abweichen. Während du also voller Vorfreude über das kleine Leben bist, was da zu euch kommt, kann dein Kind mit kompletter Ablehnung oder Überforderung reagieren. Oder dein Kind ist ganz aufgeregt, weil es sich schon lange darauf freut, ein großes Geschwisterkind zu werden, während du dir Gedanken um Themen wie Eifersucht oder Geschwisterstreit machst und darüber, ob du einem Alltag mit mehreren Kindern gewachsen bist.
Zeit also, dass wir uns dieses Thema mit Hinblick auf die Bedürfnisse deines erstgeborenen Kindes und auch deiner eigenen einmal vornehmen – was braucht dein Kind? Was brauchst du? Und wie kannst du dein Kind bestmöglich auf diese neue Situation vorbereiten und es in diesem Prozess liebevoll begleiten?
Das Geschwisterchen kommt
Die Ankunft jedes Babys verändert die Familiendynamik – ganz gleich, ob du das erste, zweite oder fünfte Kind erwartest. Während es in der ersten Schwangerschaft vorwiegend darum geht, dich selbst und euch als Paar darauf vorzubereiten, was es heißt, Eltern zu werden und vorzubereiten, was es dafür emotional, mental und ganz praktisch braucht, wird das beim zweiten Kind schon deutlich komplexer.
Schließlich ist da ein Kind mit ganz eigenen Gefühlen, mit Sorgen und Ängsten, was diesen neuen Menschen in der Familie angeht – und mit Bedürfnissen, die gesehen und gehört werden wollen.
Und, Hand aufs Herz, da ist natürlich auch der Alltag als Familie, der weiterhin gewuppt werden will und vermutlich weit weniger Raum für umfassende Vorbereitung auf allen Ebenen lässt, als es noch beim ersten Kind der Fall war.
Fangen wir mal, ganz im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation, bei dir selbst an – also mit der Selbsteinfühlung. Denn bevor wir schauen, was dein Kind eigentlich braucht, um auf ein Geschwisterchen vorbereitet zu sein, darfst du für dich erstmal in die Klarheit finden, was du eigentlich brauchst.
Also, spür mal in dich:
Wie fühlst du dich? Ist da Vorfreude? Unsicherheit? Angst? Zuversicht? Überforderung?
Sobald du diese Gefühle für dich einmal sortiert hast, wirf mal einen Blick auf die dahinterliegenden Bedürfnisse. Was brauchst du?
Ich könnte mir vorstellen, dass da neben der Vorfreude vor allem Dinge sind wie:
-
Wirksamkeit:
Wie mache ich das mit zwei Kindern? Wie werde ich beiden gerecht? Was kann ich ganz konkret tun, damit es allen gut geht? Wie gehe ich mit Eifersucht um, wie mit Geschwisterstreit? -
Liebe:
Kann ich beide Kinder genauso lieben? Reicht meine Liebe für zwei Kinder? -
Selbstbestimmung:
Wo bleibe ich eigentlich mit meinen Bedürfnissen? Wie schaffe ich es, mich um mich zu kümmern?
Kennst du deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse, darfst du dir den Raum nehmen, Strategien und Lösungen für dich zu finden. Hier und heute wollen wir den Fokus auf dein Erstgeborenes Kind richten.
Also:
Was braucht dein Kind?
Ich nehme an, es braucht vor allem erstmal Klarheit und Wissen. Was bedeutet es, dass meine Familie wächst? Was kommt da auf mich zu? Wie wird es sein, auf einmal großer Bruder oder große Schwester zu sein?
Dann braucht dein Kind ganz sicher auch Orientierung, also die Sicherheit darüber, wie Dinge ablaufen werden und wer zuständig ist, sobald das Geschwisterchen da ist.
Es braucht Liebe – und die Gewissheit, dass es genauso geliebt wird wie jetzt, auch wenn eure Familie wächst.
Es braucht Autonomie, also die Möglichkeit, in dieser ja erstmal fremdbestimmten Situation, auf die es keinen Einfluss hat, Dinge mitentscheiden und gestalten zu können.
Und: Es braucht Hierarchie, indem es seinen festen Platz in der Familie kennt.
Wie du diese Bedürfnisse erfüllen und dein Kind bestmöglich auf die Ankunft des Geschwisterchens vorbereiten kannst, verrate ich dir im folgenden Absatz.
So bereitest du dein Kind auf das Geschwisterkind vor
Noch einmal vorweg: Wichtig ist, dass du dein Kind beobachtest und versuchst, zu verstehen, was genau es braucht. Kinder können ganz unterschiedlich mit der Tatsache umgehen, dass da ein neues Familienmitglied zu ihnen kommt. Es gibt also weder die “richtige” Vorbereitung noch den “richtigen” Umgang, sobald das Baby da ist. Richtig ist, was zu euch passt und was die Bedürfnisse deines Kindes erfüllt.
Also, schnappen wir uns doch genau diese Bedürfnisse einmal:
1. Wissen & Orientierung – die “richtige Ankündigung”:
Wie gesagt, es gibt kein richtig oder falsch in diesem Kontext, es gibt keinen „guten“ oder „schlechten“ Weg, deinem Kind davon zu erzählen, dass da ein Geschwisterchen zu euch kommt, es gibt nur den Weg, der zu euch passt. Wichtig ist, dass dein Kind dich versteht und dass du ihm die Möglichkeit gibst, zu begreifen, was da passiert und was es erwartet.
Nimm dir also Zeit, es ihm zu erklären – je nach Alter unbedingt mehrfach, so oft dein Kind es braucht. Erkläre es kindgerecht, also in altersgerechter Sprache. Gib deinem Kind Raum, Fragen zu stellen und all seine – wechselnden – Gefühle da sein zu lassen.
Ich höre und lese immer wieder, dass es gut ist, Kindern so spät wie möglich davon zu erzählen. Mir wiederum ist Authentizität und Ehrlichkeit im Umgang mit meinen Kindern wichtig.
Als ich mit meiner Tochter schwanger war, hat mein Sohn (damals 7) natürlich sehr schnell gemerkt, dass irgendwas anders ist – und ich habe all seine Fragen beantwortet, all seine Gefühle da sein lassen und gecheckt, dass er alles hat, was er braucht. Und das war eben vor allem erstmal der Raum für seine Gefühle und das Wissen darüber, was da gerade in und mit mir passiert und auch darüber, was das für ihn bedeutet, sobald seine große Schwester auf der Welt ist.
Dafür brauchst du keine hellseherischen Fähigkeiten – denn ganz klar, du kannst unmöglich wissen, wie genau alles ablaufen wird. Und doch braucht den Kind dieses Wissen, weil es ihm unheimlich viel Sicherheit schenkt.
Dass Kindern die Zeit bis zur Geburt zu lang wird, lese ich auch immer wieder: Hier dürft ihr gemeinsam Lösungen finden, wie ihr diesen Zeitraum gestaltet und dem Kind veranschaulicht, wann das Geschwisterkind kommt – beispielsweise durch einen Abreißkalender oder durch Schälchen mit Kugeln, die für die Tage stehen etc.
2. Empathie – dem Erstgeborenen Aufmerksamkeit schenken
Eines der größten Missverständnisse im Umgang mit Kindern ist ihr Bedürfnis nach „Aufmerksamkeit“. Besonders bei Geschwisterkindern ist das immer wieder Thema – „er oder sie macht das, weil er/sie keine Aufmerksamkeit mehr bekommt, seit dem das zweite Kind da ist.“
Ja, Aufmerksamkeit ist ein Bedürfnis. Und doch verstecken sich dahinter meist andere Bedürfnisse, beispielsweise Liebe und Empathie. Auf die Liebe gehen wir gleich noch ein, bleiben wir hier erstmal bei der Empathie.
Für mich bedeutet Empathie, gesehen und gehört zu werden – mit allen Gefühlen, die da sind. Gefühlen den Raum zu geben, den sie brauchen. Sie da sein zu lassen, ohne sie zu bewerten.
Mit jedem Wutausbruch, jeder vermeintlichen Ablehnung, jedem „Ich will kein Geschwisterkind“ erzählt dir dein Kind etwas über sich und seine Gefühle und Bedürfnisse. Gerade in dieser sensiblen Phase, in der diese Gefühle vermutlich Achterbahn fahren, ist es wichtig, dass sie alle da sein dürfen.
Die Wut und die Angst ebenso wie die Unsicherheit, die Aufregung, die Neugier und die Vorfreude.
3. Liebe – der “richtige” Umgang mit Eifersucht.
Ist dein Kind eifersüchtig auf das Baby, egal ob geboren oder ungeboren, kann das seine Art sein, dir zu zeigen, dass es Liebe und Nähe braucht.
Zunächst erstmal darf dieses Gefühl da sein. Dein Kind darf auf seine Art äußern, dass es Mama- oder Papa-Nähe braucht oder sich eurer Liebe gerade nicht ganz sicher ist.
Seine Art, das zu zeigen, darfst du dann übersetzen, so dass dein Kind nach und nach lernt, seine Bedürfnisse zu kommunizieren. Zusätzlich dürft ihr Lösungen finden, wie dein Kind sich geliebt fühlt und die Nähe bekommt, die es braucht.
Das können Exklusivzeiten mit beiden Elternteilen sein – kleine Inseln im Alltag ebenso wie gemeinsame Unternehmungen, das können Strategien sein wie die Mama- oder Papa-Tankstelle, bei der du dein Kind anhand von Berührung mit deiner Liebe und Energie volltankst und vieles mehr. Werdet kreativ.
Wichtig ist, dass du die Eifersucht als Einladung deines Kindes siehst, dir von einem unerfüllten Bedürfnis zu erzählen.
4. Autonomie – das Erstgeborene mit einbeziehen.
Die Tatsache, dass da ein weiteres Familienmitglied zu euch kommt, habt vermutlich ihr als Eltern getroffen.
Und auch wenn dein Kind vielleicht den Wunsch geäußert hat, große Schwester oder großer Bruder werden zu wollen, so ist dies dennoch eine fremdbestimmte Situation, also eine Veränderung, in der es neben vielen anderen Bedürfnissen auch viel Autonomie braucht.
Je nach Alter des Kindes kann es also bei Vorbereitungen für das Baby mithelfen, Dinge mit aussuchen, zwischen verschiedenen Kleidungsstücken oder Spielzeugen entscheiden etc.
Beobachte dein Kind unbedingt, damit du es nicht überforderst oder ihm Verantwortung überträgst, die eigentlich nur ihr als Eltern tragen könnt. Mithelfen darf freiwillig sein – hat dein Kind also keine Lust, mitzumachen, ist auch das okay.
5. Hierarchie – den Platz in der Familie kennen
Jedes Familienmitglied hat seinen festen Platz im Familiengefüge. Dieser sorgt für Gerechtigkeit – statt für Gleichheit, und schenkt Kindern Strutkur und damit auch Orientierung und Sicherheit.
Gerade unter Geschwistern braucht es diese Rangfolge, damit jedes Familienmitglied seine Position sicher hat und es keine Machtkämpfe braucht. Mehr über das Thema Hierarchie und wie du sie umsetzen kannst, erfährst du in meiner Podcast-Folge #09 G – wie Gerechtigkeit in der Familie.
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Wie du verstehst, was dein Kind dir mit seinem Verhalten wirklich sagen möchte und was es braucht, um mitmachen und kooperieren zu können, verrate ich dir in meinem E-Book „Wie dein Kind das macht, was du sagst! Mehr Kooperation im Familienalltag”.
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Dein Kind dreht durch, seit das Baby da ist – die nachgeburtliche Geschwisterkrise
Ist die Wartezeit dann rum und das Geschwisterkind erstmal da, steht eure Welt als Familie, wie ihr sie kanntet, erstmal Kopf. Noch während des Wochenbettes kann es passieren, dass das ältere Kind durchdreht – hallo, sogenannte nachgeburtliche Geschwisterkrise.
Doch was steckt dahinter?
Wie genau dein erstgeborenes Kind sich verhält, hängt sehr vom Charakter ab und davon, welche Bedürfnisse es am dringendsten erfüllt braucht. Von Wut, Trotz oder einer vorübergehenden Rückentwicklung hin zum Baby kann es alles sein. Egal auf welche Art und Weise: Dein Kind schreit laut um Hilfe. Es fehlt ihm an Orientierung, an Struktur und damit an Sicherheit. Plötzlich ist da dieses neue Familienmitglied, das so bedürftig ist und augenscheinlich so viel mehr Fürsorge braucht und bekommt.
Hier gilt dasselbe wie oben und wie eigentlich immer bei der bedürfnisorientierten Begleitung von Kindern:
Beobachte dein Kind, finde heraus, was es gerade am dringendsten braucht und findet gemeinsam Strategien, die für euch alle okay sind.
Fehlt es deinem Kind an Orientierung, können beispielsweise konkrete Tages- und Wochenpläne helfen, wer wann zuständig ist, wer morgens anzieht, wer es in die Kita oder die Schule bringt, wer es abholt und so weiter.
Findet Exklusivzeiten mit beiden Elternteilen – egal wie lang diese sind. Fünf Minuten pro Tag können bei manchen Kindern wertvoller sein, als ein längerer Ausflug pro Woche.
Und ganz wichtig:
Mach dich frei von irgendwelchen Erwartungen, wie sich dein Kind zu verhalten hat. Die Zuneigung zum Geschwisterchen darf Zeit brauchen. Es darf auch erstmal doof und nervig sein, dass dieser neue Mensch da ist und in den ersten Monaten vor allem durch Schreien kommuniziert.
Und nur weil es nun ein jüngeres Familienmitglied gibt, heißt das nicht, dass das Erstgeborene nun auf einmal “groß sein muss” und “alles alleine können muss”. Möchte dein Kind beispielsweise gefüttert werden, erfüllt es sich damit vielleicht gerade sein Bedürfnis nach Nähe, nach Fürsorge oder Geborgenheit.
Das Kind geht grob mit dem Geschwisterchen um, was tun?
Je nach Alter des älteren Kindes kann es vorkommen, dass der Umgang mit dem Geschwisterchen weniger sanft ist, als wir Eltern das gern sehen würden.
Dein Kind darf die Bedürfnisse des Babys erstmal kennenlernen und verstehen, was es braucht und wie es beispielsweise angefasst oder gehalten werden möchte – und auch das auf Augenhöhe und frei von Bewertung. Dein Kind macht nichts falsch, es tut gerade sein Bestmögliches.
Hier braucht es Übung, Geduld und Vorleben.
Äußert dein Kind hingegen, dass es möchte, dass das Geschwisterchen wieder verschwindet, braucht es vor allem eins: Empathie.
„Ist es blöd für dich, seit dem deine Schwester da ist?“
„Vorher hattest du Mama und Papa alleine – das war schön, oder?!“
„Vermisst du das manchmal?“
„Und jetzt ist deine Schwester da – das ist manchmal ganz schön und manchmal nervt es auch, oder?!“
Fühl dich in dein Kind ein, diese Gefühle dürfen da sein – und hör zu, was dir dein Kind eigentlich sagen möchte. Vermutlich meint es mit „Ich will, dass meine Schwester nicht mehr da ist“
sowas wie
„Ich bin überfordert mit der Situation. Ich will, dass alles so ist wie vorher, weil ich das hier gerade nicht kenne.“
Ein Hilferuf nach Orientierung.
Vielleicht ist das Geschwisterchen auch zu laut und das ältere Kind braucht Ruhe. Oder es fehlen Mama- und/oder Papa-Nähe. So oder so: Hilf deinem Kind, seine Aussage zu übersetzen und versuche, dein Kind zu verstehen.
Wenn Freunde, Familie & Co. nur dem Geschwisterchen die Aufmerksamkeit schenken
Das kennst du vermutlich vom ersten Kind: Das Baby ist da und alle Besuchenden kommen, um es zu begrüßen und zu bestaunen.
Ob sie dich oder euch als Eltern vorher begrüßt oder euch nach eurem Befinden gefragt haben, weiß dann vielleicht niemand mehr so genau.
Kurzum:
Ein Baby zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Und während ihr als Erwachsene euch um eure Gefühle wahrscheinlich ziemlich gut kümmern könnt, kann das für die älteren Kinder sehr frustrierend sein, wenn der Besuch sich vor allem für das Baby interessiert.
Spürst du, dass das für dein Kind eine Herausforderung ist, dürft ihr gemeinsam eine Lösung finden, die zu euch passt. Indem ihr beispielsweise explizit Besuch für das ältere Kind einladet oder indem du beispielsweise deinem Kind hilfst, mit der Oma zu kommunizieren und in Kontakt zu kommen („Oma, bist du bereit, mit deinem Enkelkind zu spielen?”). Hilf deinem Kind, es zu schaffen, sich um sich zu kümmern.
Zusammenfassung
Die Vorbereitung auf die Ankunft eines Geschwisterchens braucht vor allem eins: Das Beobachten deines Kindes und der Blick darauf, was es wann braucht.
Es gibt kein richtig oder falsch, keinen guten oder schlechten Zeitpunkt. Wichtig ist, dass du dich frei machst von Erwartungen, wie dein Kind mit dem Wachsen der Familie umgeht und welche Rolle es einnimmt – gib ihm Zeit und hab im Blick, welche seiner Bedürfnisse erfüllt werden wollen.
Eifersucht und auch alle anderen Gefühle und Gedanken dürfen sein. Gib ihnen Raum und unterstütze dein Kind dabei, in diese neue Situation hineinzuwachsen.
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Wie so oft geht es also darum, dein Kind wirklich zu verstehen und hinter Gefühle wie Wut, Ablehnung oder Frustration zu schauen. Wie das geht, verrate ich dir in meinem E-Book „Wie dein Kind das macht, was du sagst! Mehr Kooperation im Familienalltag”. On top bekommst du wertvolle Impulse für die Umsetzung im Alltag und für Bedürfnisse in Kindersprache.